Die Geschichte
der Villa Grünfels

Die Gebrüder Braendlin, erbauten 1822 die Fabrikantenvilla Grünfels. Welche als erstklassiges Baudenkmal gilt. Durch die Liquidierung der Liegenschaft kaufte 1896 die Villa der Handelskaufmann Wilhelm Stiefel.

Schauspielerin Lotte Stiefel war die letzte Bewohnerin der Villa Grünfels. Sie vermachte vor 30 Jahren die stilvolle Liegenschaft der Gemeinde Jona. Seither hat sich das Areal zu einem Kulturhotspot entwickelt. Lotte Stiefel war nicht nur eine grosse Förderin der Kultur, sie hat mit der Schenkung des Areals über ihr interessantes Leben hinaus viel Kultur ermöglicht. Für uns ein Grund dieses Jubiläum mit der gesamten Bevölkerung von Rapperswil-Jona und Umgebung zu feiern.

Wir werden die Geschichte rund um das Grünfelsareal anhand historischer Dokumente in einer kompakten, präsentabler Form erlebbar machen. Sei dies in literarisch theatralische gewandelte Formen, so wie auch musikalisch. So wird die wunderbare Geschichte für ein breites Publikum in Erinnerung gebracht. Für die publikumswirksame Realisierung dieses Zieles benötigen wir professionelle Hilfe von Autoren und Musikern, die in der Lage sind, bleibende Eindrücke zu schaffen, die Jung und Alt einen kulturellen, inspirierenden Mehrwert bieten.

Die Liegenschaft «Grünfels»

Das Areal, um die Villa, ist von einem wunderbaren Baumbestand und saftig grünen Blumenwiesen umgeben. Dazu gehören kleinere und grössere Nebengebäude, welche in das Festivalgeschehen einbezogen werden. Es gibt diverse schöne Orte um kleine bis mittlere Bühnen, Stände und Ausstellungen zu errichten. Seit etlichen Jahren nutzen Musikschule, Kellerbühne Grünfels und das ZAK (Zentrum aktueller Kultur) diese historischen Gebäulichkeiten. Es hat genügend Platz für gastronomische Kultur, um sich mit einheimischen und exotischen Spezialitäten verköstigen zu können.
Es soll Bühnen für Schauspieler, Musiker, Tänzer, Poeten und andere Kulturschaffende geben, sowie ansässigen Vereinen ermöglicht werden ihr Wirken zu präsentieren. Dies kann gastronomische Angebote beinhalten, Workshops oder Präsentationen die Spass und Freude bereiten. Wir möchten den Rahmen und die Geschichte hinter dem Areal gerne nutzen und der gesamten Bevölkerung zugänglich machen.

In den kommenden Jahren werden auf dem Gelände folgende Jubiläen stattfinden:

2023/24: 50 Jahre Musikschule Rapperswil-Jona
2026: 40ster Todestag von Lotte Stiefel
2029: 30 Jahre Kulturareal Grünfels

Die Bauherrenfamilie Gebrüder Braendlin

Das Haus könnte ebenso gut Villa Braendlin heissen. Als Industrielle der ersten Stunde mit ihren Spinnereien am Latten-und am Stadtbach wollten die Gebrüder Braendlin auch in der Nähe ihrer Fabrik wohnen. Zukunftsgläubig und unternehmerisch nahmen sie hohe Risiken auf sich. 1822 erbauten die vier Brüder Jakob, Heinrich, Rudolf und Johannes ein schönes Haus mit «doppelter Wohnung» – die Villa Grünfels. Die Villa war eine Investition, der 1811 im Grenzgebiet zwischen Rapperswil und Jona gegründeten Baumwollspinnerei Braendlin, welche den drei Brüdern gemeinsam gehörte.

Die Fabrikatenvilla ist in eine riesige Parkanlage eingebettet und stand damals in Sichtkontakt mit den Fabrikgebäuden in der Nachtweid und im Lattenhof. In der unverbauten Umgebung kam das Gebäude noch besser zur Geltung, so dass die Villa wie eine mittelalterliche Burg auf einer Anhöhe thronte. Es dauerte damals rund 10 Jahre bis das Fabrikantenhaus mit Parkanlage und Nebengebäuden seine endgültige Form gefunden hatten. Der Architekt dieses klassizistischen Bauwerkes ist bekannt.

In einer Nacht anfangs Januar 1830 geschah ein Brandunglück in der Villa. Der zu spät entdeckte Brand konnte nicht mehr gelöscht werden. Daher erfolgte um 1830 eine dritte Bauphase. Man geht davon aus dass der Wiederaufbau des Wohnhauses praktisch einem Neubau gleichkam.

Seit diesem Umbau wurde sie nicht mehr massgebend verändert. Mit dem Verkauf der Villa im November 1896 endete die Ära Braendlin. Der neue Besitzer hiess Wilhelm Stiefel und war Handelskaufmann. Der neue Besitzer zog mit seiner Frau und einigem Dienstpersonal in die Villa ein. Lotte Stiefel kam als Adoptivkind zur Familie.

Wilhelm Stiefel war in verschiedenen politischen Ämtern in Rapperswil- Jona tätig. Unter anderem im evangelischen Primarschulrat und des evangelischen Kirchenrat Rapperswil-Jona, Mitglied und zuletzt Präsident der Filialkommission der Kantonalbank und St. Galler Kantonsrat von 1906- bis 1912. Ausserdem gehörte er zu den Mitintianten des 1902 gegründeten Elekrititäswerks Jona- Rapperswil (EWJR).

1923 starb Wilhelm Stiefel, da war Lotte gerade mal 25 Jahre alt als sie die Villa Grünfels erbte.

Stifterin der Villa Grünfels

Name: Stiefel
Vorname: Charlotte
Künstlername: Lotte Lieven
Lebensdaten: 1898–1986
Beruf: Schauspielerin

Charlotte Munz war 1898 als Auslandschweizerin in Kalifornien geboren. Nach dem frühen Tod ihrer Mutter liess sie ihr Vater in die Schweiz bringen, wo sie vom kinderlosen Ehepaar Stiefel adoptiert wurde. Das Ehepaar Stiefel war wohlhabend und besass die Villa Grünfels. In Rapperswil-Jona besuchte sie die Volksschule, worauf sie nach Zürich ging, um die höhere Töchterschule und die Matura mit Primarlehrerdiplom zu absolvieren. Danach reiste sie nach München und Berlin, um sich als Schauspielerin auszubilden. In den goldenen Zwanzigern gab es in den europäischen Grossstädten unzählige, Cabarets, Varietés und Theater. Charlotte machte unter einem jüdischen Theaterdirektor, der vorwiegend politische Stücke inszenierte, als Lotte Lieven Karriere. In München lernte sie auch den grossen Schauspiel-Star der Zeit, Alexander Granach, kennen, der u.a. mit Brecht zusammenarbeitete und im Stummfilm Klassiker «Nosferatu» mitspielte. Zwischen dem jüdischen Schauspieler und Charlotte entstand eine Liebesbeziehung, die bis zum Tode Granachs durch unzählige Liebesbriefe bezeugt ist (jüngst erschienen im Buch «Du mein liebes Stück Heimat – Briefe an Lotte Lieven aus dem Exil», Augsburg 2008). Es soll die Liebe gewesen sein, die sein Leben rettete.

Die begabte Schauspielerin spielte bis 1935 an Berliner Bühnen, kehrte jedoch nach Zürich zurück, da sie aufgrund ihrer Beziehung zu Granach bedroht worden war. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 geriet der jüdische Schauspieler in den Fokus der Gestapo und mit ihm Charlotte. In Zürich war sie zwei Jahre lang Mitglied des Schauspielhauses. Doch in der Heimat blieb der Erfolg auf der Bühne aus. 1940 zog sie sich von der Bühne zurück und wohnte wieder in der Villa Grünfels. Charlottes soziales Engagement zeigte sich vor allem vor und während dem Zweiten Weltkriegs, in dem sie sich um Künstlerflüchtlinge und Emigranten kümmerte. Danach vollzog sie einen radikalen Lebenswandel: Sie lebte mit bis zu 20 Katzen in der Joner Villa und richtete dort ein Heim für herrenlose Katzen ein. Mit 88 Jahren verstarb Charlotte Stiefel am 2. November 1986. Das Herrenhaus mit Anwesen vermachte sie testamentarisch der Gemeinde mit der Auflage das dies nur für kulturelle Zwecke genutzt werden dürfe.

Die Frankfurter Allgemeine (FAZ) vom 27. November 2008 bedauerte zu Lotte Lievens Tod in einem Artikel über Alexander Granach: «Mit ihrem Tod ging ein unschätzbarer Zeitzeuge verloren, den zu befragen niemand für nötig befunden hatte, was nicht zuletzt an ihrer Diskretion gelegen haben mag».

Text: Basil Vollenweider, Historiker